Gnter war zurck. Er war anders. Zwlf Kilogramm leichter. Schlohweies Kopfhaar betonte die sonnengebrunte Haut seines Gesichts. Aber was war anders an ihm? Natrlich: Ein schlohweier Vollbart zierte nun sein gewhnlich glattrasiertes markantes Kinn.
Achthundert Kilometer per pedes. ber Stock und Stein und murmelnde Bche, vorbei an romantischen Ortschaften, auf deren Kirchtrmen Strche zuhauf nisteten. Bis zu achtunddreiig Kilometer am Tag, erzhlte Gnter, zerren an der Substanz. Was glaubst du, fragte er schmunzelnd, was die Leute so alles mitschleppen? Sechszehn Kilo auf dem Rcken, das hatte Gnter getragen. Seinem brillanten Aussehen nach hatte er die Strapazen sogar genossen, ebenso wie die bernachtungen in Herbergen am Wegesrande.
Was hatte Gnter zu solch einem Kraftakt bewogen? Was wollte er sich und anderen damit beweisen? Die Wanderung durch die Pyrenen allein war schon eine Herausforderung fr Gnter. Denn die Sonne schien nicht, sondern es regnete und regnete. War die Stimmung da nicht schon dahin? Gnter wies das entschieden zurck. Ich hatte den Plan gefasst, ich fhrte ihn aus, sagte er. Seine berzeugung motivierte auch seinen Mitpilger.
Vier von sechs Wochen regnete es. Und kalt war es. So ist auch das schwere Gepck einleuchtend, das auf dem Rcken lastete. Der erste Tag lieferte einen Vorgeschmack auf das, was kommen wrde. Start in zweihundert Hhenmetern. Es regnete. Im mittleren Pyrenenbereich hagelte es. Und in 1.300 Metern, als Gnter und sein Mitlufer die Rolandsquelle erreichten, schneite es. Die Rolandsquelle ist geschichtstrchtigt, denn dort wurde der Paladin Karls des Groen von Sarazenen ermordet. Zwei Tage, nachdem Gnter diesen Ort verlassen hatte, erfroren dort zwei Amerikaner, die whrend einer Pause am Wegesrand vor Erschpfung eingeschlafen waren.
Was Gnter aber besonders beeindruckt hatte, war die Begegnung mit Menschen, die gleich ihm dem Motto folgten: Das Ziel ist der Weg. Bescheidenheit auf dem Pilgerweg sei erste Pflicht, merkte er an, und es klang wie der Aufruf, aufmerksam zu sein. Helfe, so wird dir geholfen auf dem Pilgerweg, so Gnter, sei keiner lange allein, der nicht allein sein will.
Gnters Schilderungen machten mich neugierig. Doch zu Fu das wollte ich mir nicht antun. Da eine andere Variante des Pilgerns, nmlich hoch zu Esel, fr mich nicht in Frage kam, blieb nur noch eine Mglichkeit, den Jacobsweg mit einem Drahtesel zu bezwingen.
Wochenlang bereitete ich mich vor. Fuhr mit dem Bike in Etappen pro Woche rund zweihundert Kilometer. Denn fr Ungebte, so die Reisebeschreibung des Organisators, wrden die Strapazen, die Bikern mehr Steigungen als Geflle entgegensetzten, schwer zu packen sein.
Wenige Kilometer von meinem Trainingslager entfernt pedalte sich Klaus Urbanek warm. Klaus, ebenfalls vom Bacillus Golferus gepackt, hatte anderes im Kopfe. Er lebte den Traum, Amerika von West nach Ost zu durchqueren. Mit einem Rennrad. Als 70-jhriger. Klaus hatte sich ein Kilometerpaket von rund 5.000 Kilometern geschnrt. Wer ihn kannte, zweifelte nicht daran, dass er sein Vorhaben in die Tat umsetzen wrde. Bis zur Abreise in das Land der unbegrenzten Mglichkeiten strampelte er tagtglich Kilometer um Kilometer mit seinem Rennrad durch die Region Hannover. Vor der Pflicht kam allerdings stets erst die Kr die Runde Golf am Deister.
Was also trieb uns drei Golfer zu so auergewhnlichen Leistungen, wobei meine Eigene einen eher bescheidenen Beitrag zu dieser Story liefert? Ich erinnerte mich an das Tagebuch eines amerikanischen Journalisten im National Geographic. Roff Smiths Ehe war zerbrochen. Er war frustriert und, wie er seinem Verleger mitteilte, brauchte er eine Auszeit, um klare Zukunftsentscheidungen treffen zu knnen. Das brachte ihn auf die verrckte Idee, fernab von Amerika den australischen Kontinent mit dem Fahrrad zu umrunden.
Doch muss man erst geschieden sein, damit neue, andersartige Herausforderungen Mnnern gleich Red Bull Flgel verleihen? Jeder hat einen innewohnenden Traum. Gnters und mein Traum lag in der harschen Erhabenheit des geschichtstrchtigen Pilgerpfads Camino. Klaus Traum knpfte eher an den Pioniergeist amerikanischer Einwanderer an – nur das Er statt auf einem Pferd mit einem Rennrad die neue Welt bezwang.
Ich googelte den Jacobsweg, zog mir Reisebeschreibungen rein und alleine die Schilderungen, mit zehn, zwanzig, dreiig oder mehr Typen in einem Raum schlafen zu mssen, die schnarchten, von anderen Geruschen einmal abgesehen, nein, heulte mein innerer Schweinehund auf. Nein, das ist nicht dein Ding!
Natrlich gab es auch fr Zivilisationsgeschdigte wie mir allfllige Angebote. Eines davon gefiel mir besonders gut: Nmlich eine gefhrte Radtour mit berschaubaren Tagesleistungen an Kilometern und Hotelbetten am Ende des Tages. Ich buchte.
image_1159256231776.jpeg
Ankunft Leon, gut dreihundert Kilometer vom Zielort entfernt. Treffpunkt in Carrizo de la Ribera. Das Hotel in einem Zisterzienserkloster. Das Santa Maria del Rey. Der Ort selbst wenig einladend. In die Klosterkirche msst ihr gehen, empfahl unsere Crewchefin. Um einundzwanzig Uhr. Dann halten die Nonnen Andacht, singen gregorianische Lieder.
In der Kirche saen wir dem Altar zugewandt. Im Rcken das Chorgesthl. Die Nonnen hinter uns. Eine Vorbeterin leitete die Andacht. Ihre leise Stimme kam aus einem fernen Lautsprecher. Dann Orgelklang, spanische Trompeten, Stimmen setzten ein. Leise, dann anschwellend, eindringlich, eingehend, einfach nur schn.
image_1159256231776.jpeg
Jeder der sechs Tage Tournee fhrte uns durch abseits gelegene Orte. Vorbei an niedrigen Husern aus grauem Naturstein gebaut. Oft mit eingefallenen Dchern, Getreidespeichern auf Stelzen. berall der Odem von Silage und Mist. Rosen in allen Farbschattierungen warfen dekorative Farbkleckse auf das triste Grau der Mauerwerke. Kaum junge Menschen sieht man auf den Hfen. Stattdessen halten knotige Hnde steinalte Stcke, mit denen Rindvieh zur nchsten Weide gelenkt wird. In schattigen Hohlwegen grne Fladen ihrer Hinterlassenschaften. Als Radfahrer sieht man sie nicht, fhrt hindurch, Kot spritzt und bleibt an den Waden kleben. Was solls, die duftende Dekoration der Schienbeine gehrt zum Jacobsweg dazu wie der Pilgergru “Bon Camino”.
Atemberaubend die Postkartenpanoramas, Steinwlle grenzten Wiesen und Felder ein. Typisch keltisch. Wlder und Hgelkuppen querte ich, ber mir Schfchenwolken, ich bin eins mit mir, meinem Bike und meinen Gedanken. Was wollte ich mehr?
Immer wieder schweiften meine Gedanken ab zu Gnter. In jedem der wandernden Pilgergesichter glaubte ich ihn zu erkennen, unter schwerem Gepck, schwer atmend. Bon Camino riefen wir uns zu. Manchmal kam die Antwort geqult zwischen den Zhnen hervor, whrend die Fe der Beladenen in den schweren Schuhen oft nicht mehr vorwrtsgehen wollten.
Als wir schlielich den Monto Gozo erreichten, war das Finale nahe. Santiago de Compostela ante portas. Die Kathedrale, der Star der Pilger, ist Schlusslicht unserer Reise. Klein und mde kommen wir uns vor, gleichwohl glcklich, angekommen zu sein. Ob per pedes oder per Rad, oder per Pferd oder Esel, die Idee ist es, die jene Menschen auf diesen Trip treibt, die sich auf dem Vorplatz der Kathedrale in die Arme fallen, sich auf die Schultern klopfen, sich alle Gute wnschen, in allen Sprachen, jeden Alters.
Natrlich ist die Frage nach den Motiven einer solchen Reise erlaubt. Kurz gesagt offenbart sich die Antwort allen, die Augen haben zu sehen und Ohren haben, zu hren. Sptestens in der Mittagsandacht in der Kathedrale springt der Pilgerfunke ber, dann, wenn atmosphrische Schwingungen die Kirche fllen, wenn eine Ordensschwester mit perfektem Sopran Groer Gott wir loben dich anstimmt und der Organist die Ventile der spanischen Trompeten ffnet und Lngs- und Querschiffe vibrieren lassen und wenn die Sonnencreme in den Augen zu brennen beginnt, dann weit du, dass du dein Ziel erreicht hast.
Einen Armeerucksack gefllt mit glanzvollen Erlebnissen brachte auch Klaus aus Amerika mit. Braungebrannt, hager, kurzum ein zher Brocken, fhrte sein erster Weg auf den Golfplatz. Vierzehn Staaten von Amerika habe ich durchfahren, versuchte er, die lange Reise abzutun, 4.877 Kilometer von Oceanside in Kalifornien bis Annapolis in Maryland im Sattel, rund 160 Kilometer am Tag.
Eigentlich war er mit dem knappen Kommentar schon am Ende seines Reiseberichts angelangt. Doch er verga nicht, auf die wunderbare Leistung seiner Frau Rosel hinzuweisen. Ohne sie, sagte er, htte ich das nicht geschafft. Rosel Urbanek fuhr mit einem Pick up Truck vorweg, mit Ersatzteilen und Getrnken, die der Radler in der Tageshitze ntigst brauchte. Geschlafen wurde in Motels entlang den Straen, die Klaus bezwang. Mittlerweile eilte ihm der Ruf des verrckten German voraus. Sein Bildnis erschien in verschiedenen amerikanischen Zeitungen.
Dass Klaus als Paradiesvogel angesehen wurde, erlebte er hautnah in einer Motelbar, in die die beiden sich eines Tages vor der Abendhitze flchteten. Stockdunkel sei es darin gewesen, sagte Klaus. Aber das sei ihm egal gewesen, er hatte Durst auf ein Bier und davon sollte er mehr als genug bekommen. Aus dem Dunkel heraus wurde er von einem Ami angesprochen auf seine merkwrdige Verkleidung. Das sei Radfahrerkleidung erklrte Klaus, ich bin mit dem Fahrrad unterwegs durch Amerika. Der Staatenbrger schttelte unglubig den Kopf, erzhlte Rosel, die knnen sich ja nur mit ihren Sprit fressenden, klimatisierten Limousinen fortbewegen.
Klaus Leistung wurde belohnt: Getrnke flossen, Essen kam auf den Tisch, bernachtet wurde kostenlos in Eldon nahe dem bekannteren Ort St. Louis in Missouri.
Whrend der Reise gab es auer stndig wechselnden Landschaften kaum Aufregendes, von den 40.000 Hhenmetern, die es auf der Reise zu berwinden galt, einmal abgesehen. Tagelang Langeweile, alle hundert Kilometer mal Begegnung mit einem Auto. Doch dann hatte ihn eine freilaufende Kuh im Navajo-Reservat Mesaverde wahrgenommen: In seinem bunten Fahrraddress wirkte er auf sie wohl wie ein Rotes Tuch. Allerdings blieb sie friedlich, so Klaus, stattdessen lief sie ein Stck Wegs hinter dem Truck hinterher.
Je nher sich der Urbanek-Konvoi dem Ziel nherte, umso windiger wurde es. Streckenweise radelte Klaus im Windschatten des Trucks durch die bergige Landschaft. Die letzte Etappe stellte sich Klaus entgegen, wie siebzehn Mal Ninstedter Pass zwischen Barsinghausen und Eimbeckhausen hin und zurck. Wer diesen Pass schon geradelt ist, wei, was das bedeutet.
In Annapolis verloren sich Rosel und Klaus kurz aus den Augen. Per Mobiltelefon lotste sie ihn zum Hafen. So wie die beiden Caminofans hatte auch Klaus sein finales Erlebnis. Rosel und eine Fangemeinde begrten den erschpften Radler.
Schlielich merkte Gnter an, dass es in den Kirchen Nordspaniens klter sei als in klimatisierten Husern. Das wrde aber nicht ber die Kulturschtze am Wegesrand hinwegtuschen. Orte der inneren Einkehr, Naturschtze gbe es dort zuhauf. Klaus legte nach und verwies auf die Gastfreundschaft der Amerikaner, die er oft erleben durfte. Als gemeinsames Motto legten die drei Golfer fest: Wer kmpft, kann verlieren wer nicht kmpft, hat schon verloren. Das Ziel ist der Weg. Bon Camino.